8.5.17


Die griffige Formel gilt zumindest immer dann, wenn unter dem Inhalt nicht nur die reine Sachinformation einer Nachricht versteht, sondern auch, wie und in welchem Zusammenhang die Nachricht kommuniziert wird. Neben der reinen Sachinformation sind in fast jeder Nachricht nämlich auch die Komponenten Selbstkundgabe, Beziehung und Appell enthalten – sehr oft sogar ziemlich versteckt.

Vielleicht kennen Sie das Vier-Ohren-Modell von Friedemann Schulz von Thun – manchmal auch Vier-Seiten-Modell, Kommunikationsquadrat oder Nachrichtenquadrat genannt. Jede Nachricht beinhaltet demnach nicht nur einen Sachinhalt, sondern in jeder Nachricht ist versteckt auch eine Form von Selbstkundgabe des Senders, die Beziehung zum Adressaten bzw. Empfänger und oft auch ein Appell an diesen vorhanden. Die reinen Sachinformationen werden in der Regel direkt ausgesprochen, die anderen drei Ebenen werden nonverbal beziehungsweise über die Tonalität kommuniziert. Passend zu den vier Ohren heißt es auch: »Man spricht mit vier Mündern«.

Der Empfänger hört neben den reinen Informationen auch auf diesen drei anderen Ebenen. Er hört eine versteckte Selbstkundgabe des Senders, eventuell einen versteckten Appell und zusätzlich beeinflusst die Beziehung zum Sender das Gehörte – so subjektiv, wie die Beziehung vom Empfänger empfunden wird.

Man hört also mit vier Ohren: dem Sachinformations-Ohr, dem Selbstoffenbarungs-Ohr und dem Appell-Ohr. Das Modell verdeutlicht gut, wie misslungene Kommunikation und Missverständnisse entstehen. Oder auch, warum banale Anmerkungen manchmal Ärger und Aggression verursachen.

Der Empfänger interpretiert die Nachricht auf diesen vier Ebenen, wobei oft weniger das Gesagte, sondern sein eigenes Selbstbild und seine Vorerfahrungen eine große Rolle spielen. Diese Interpretation, das ist die Nachricht, die ankommt. Nicht mehr und nicht weniger. Nichts anderes, auch wenn es vom Sender ganz anders gemeint war. Zusammengefasst in der kurzen, knackigen Formel:

Den Inhalt der Nachricht bestimmt der Empfänger.

Die Ebenen Selbstkundgabe, Beziehung und Appell sind mit ihren versteckten Botschaften oft ein Minenfeld. Zudem ist manchmal auch die Sachinformation nicht klar. Zum Beispiel, wenn sprachliche Barrieren vorhanden sind und das reine Dechiffrieren von an sich eindeutigen Fakten schon nicht klappt.

So kurz und griffig hatte ich diese Formel noch nicht gehört. Da ist sie, die Hohheit des Empfängers. Es ist keine Macht über den Sender, aber über den Inhalt der Nachricht. Gestern nahm ich an einer Veranstaltung teil, während der die Gespräche von Führungskräften zweiter und dritter Ebene mit ihren Mitarbeitern ein Thema waren. Der Referent gebrauchte diesen knackigen Satz, den ich mir schnell notierte. Ich erzählte zuhause beiläufig davon und die Frau stellte heute in Ihrem Blog die Frage, ob mit diesem Satz nicht fatalistisch dem Empfänger zu viel Macht über den Sender eingeräumt werde? Eine Macht über den Sender ist es nicht, die Macht über Inhalt der empfangenen Nachricht jedoch sehr wohl – und somit auch darüber, ob die Kommunikation generell gelingen kann. Der Empfänger ist frei in seiner Interpretation des Gehörten.

Natürlich kann der Sender in seinem eigenen Interesse, verstanden zu werden, gut vorbauen. Er kann versuchen, alle vier Ohren seines Empfängers passend anzusprechen und gegebenenfalls direkt verbal die verschiedenen Ebenen thematisieren. Das kann helfen, eine Nachricht so zu kommunizieren, dass der Empfänger sie wie gewünscht interpretiert und die Macht der Interpretation minimiert wird. Die Garantie dafür gibt es jedoch nicht. Ist z.B. die Beziehung zum Sender so nachhaltig gestört und der Empfänger hat pauschal den Eindruck, dieser sei nicht ehrlich, dann wird das trotz großer Anstrengungen nichts mehr. Dann ist sie eben da in ihrer vollen Ausprägung, die Macht des Empfängers über die Nachricht. Der hört, was er kann. Manchmal auch, was er will. Mehr nicht. Im Kommunikationsprozess hat er die Hoheit über den Inhalt der Nachricht.

Zu allen Dingen gehören immer zwei. In der Kommunikation ist das die Nachricht eines Senders – und wie der Empfänger sie interpretiert. Im optimalen Fall ist beides kongruent.

Freilich kann auch der Empfänger sich bemühen, eine Nachricht hinsichtlich der möglicherweise versteckten Aspekte von Selbstkundgabe, Beziehung und Appell zu hinterfragen. Im Privaten wird das sicher manchmal so erfolgen, in öffentlichen und beruflichen Zusammenhängen sollte nicht davon ausgegangen werden. Da zählt eben zuerst, was gesendet wird – und final, wie der Empfänger es interpretiert.

Literaturempfehlung: Schulz von Thun, Miteinander reden

Das Bild zeigt eine Grafik aus dem Buch »Miteinander Reden 1«

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